Handel im Wandel. Ein geflügeltes Wort, so könnte man meinen, aber doch nichts neues. Denn seitdem es das Handelsgewerbe gibt, muss es mit Veränderungen leben. Wo der Handel in Frühzeiten ein reiner Tauschhandel war, entwickelte sich er sich stets weiter und weiter. Im 20. und 21. Jahrhundert machte er wohl die größten Veränderungen durch. Erst der Katalog- und Versandhandel, heute boomt das Internetgeschäft.
Handel im Wandel: Das Geschäft im Internet
Vor allem der Online-Bereich ist beliebter als jemals zuvor und kann seit Jahren zweistellige Wachstumsraten verzeichnen. So wuchs das Geschäft im Internet im Jahr 2015 um sagenhafte zwölf Prozent, 2016 um elf Prozent, wie sie auch für 2017 prognostiziert sind. Zugleich wird 2017 wohl zum ersten Mal die Grenze von 50 Milliarden Euro Umsatz geknackt werden.
Handel im Wandel: Der stationöre Einzelhandel lebt
Auch wenn der tote Einzelhandel von einigen heraufbeschworen wird, so lässt sich in den Statistiken feststellen, dass er nach wie vor lebt. Und nicht nur das. Seit Jahren steigen auch die Zuwächse im stationären Einzelhandel konsequent, wobei es zwischen verschiedenen Branchen auch große Unterschiede gibt.
Auch ein Blick auf die Beschäftigtenzahlen scheint das zu bestätigen. Während 2005 noch etwa 2,4 Millionen im Einzelhandel angestellt waren, so hat sich die Zahl seit 2013 bei etwa drei Millionen Beschäftigten eingependelt. Hier ist aber festzustellen, dass die Vollzeitstellen seit Jahren immer weniger werden, dafür Teilzeitstellen seit 2008 etwa um 30 Prozent zugelegt haben.
Nicht Handel im Wandel, sondern Handel im Abwärtsstrudel?
Ein weiterer Trend, der auf den ersten Blick Totengräberstimmung verbreiten könnte, ist die Sicht auf die Auszubildendenzahlen zum Einzelhandelskaufmann beziehungsweise zur Einzelhandelskauffrau. Die sind seit Jahren konsequent fallend. Von noch 34.030 Ausbildungsverträgen im Jahr 2007 sind die 26.223 im Jahr 2015 gesunken.
Ein Blick über den Tellerrand hinaus verrät allerdings, dass auch das nur die halbe Wahrheit ist. Zwar sind die Ausbildungsverträge für Einzelhandelskaufleute und Verkäufer tendenziell gesunken. Überhaupt sind die Ausbildungsverträge im Vergleich zu vor zehn Jahren ganz allgemein niedriger, was nicht zuletzt auf die demographische Entwicklung in Deutschland zurückgeführt werden kann. Andere Ausbildungsberufe, die spezialisierter sind, haben dagegen einen deutlichen Zuwachs erhalten. So sind die Zahlen besonders bei Automobilkaufleuten, Kosmetikern, Marketing-Gestaltern, Logistikern und Drogisten deutlich angestiegen. Auch hier lässt sich ein nahes Ende des stationären Einzelhandels also nicht herbei reden.
Handel im Wandel: Düstere Prognosen? Von wegen!
Und doch: Auch wenn der Online-Handel boomt und längst nicht an seinen Grenzen angekommen zu sein scheint, so macht sich langsam eine leichte Sättigung bemerkbar. Denn in einzelnen Branchen sehen die Zuwachsraten deutlich schlechter aus als im Gesamtmarkt. So konnte das Geschäft mit Unterhaltungselektronik zuletzt kaum mehr gesteigert werden und die Zahlen pendelten sich relativ konstant zwischen Online- und Offline-Geschäft ein. Auch für andere Güter konnte das beobachtet werden.
Produktgruppen wie Artikel aus dem Garten-, Bau-, Grill- oder Auto- und Motorbereich verzeichnen im Gegenzug ein stärkeres Wachstum. Ein Zeichen dafür, dass andere Branchen nachziehen. Wo erst nur Textilhändler den Mehrwert des Internets erkannten, sind es heute auch Unternehmen, deren Produkte man lieber erst einmal in die Hand nehmen möchte.
Überhaupt, und das ist das eines der wohl größten Vorteile des stationären Einzelhandels: Das Anfassen und direkte Ausprobieren. Das ist es, was viele heute noch davon abhält, alles online zu kaufen, sondern lieber im Geschäft um die Ecke. So sind die Gesamtzahlen des stationären Einzelhandels nämlich seit Jahren relativ stabil und verlieren trotz der immens vielen Unternehmen, die ins Internet drängen, nur vergleichsweise wenige Prozentpunkte.
Emotionale Bindung an stationäre Läden
In vielen Branchen macht das Ladengeschäft so noch bis zu 70 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Teilweise liegen die Zahlen sogar noch höher. Auch die weiteren Vorteile des stationären Einzelhandels liegen vor allem in der emotionalen Bindung der Kunden. Eine Umfrage brachte folgende Ergebnisse zutage, warum der stationäre Handel heute noch oft bevorzugt wird (in absteigender Wertigkeit):
- Das Produkt kann vor dem Kauf gefühlt und angefasst werden
- Produkte sind schneller verfügbar als im Internet
- ein Umtausch ist unkomplizierter
- man kann gleichzeitig mehrere Dinge kaufen
- viele schätzen die persönliche Beratung
- der komplette Einkaufsprozess ist schneller
Auf der anderen Seite ist gerade die Schnelligkeit des Einkaufsprozesses auch ein Punkt, den viele bei einer Bestellung über das Internet hervorheben. Gerade Amazon kann da als Vorreiter genannt werden, die in einigen Großstädten mittlerweile sogar eine Lieferung innerhalb von zwei Stunden anbieten.
Gleiches gilt für den unkomplizierten Umtausch. Während in einigen stationären Geschäften immer noch nur gegen einen Warengutschein umgetauscht werden kann, sind die Retoure-Raten gerade bei Textilwaren oft noch immens hoch, was gegen einen komplizierten Umtausch spricht. Nicht ohne Grund verzichtet Zalando seit einer Weile nun schon auf seinen berühmt gewordenen Slogan „Schrei vor Glück oder schick`s zurück“. Auf bis zu 80 Prozent wurde die Quote derer geschätzt, die das wörtlich nahmen, Unmengen bestellten und davon einen Großteil auch wieder zurückschickten. Weil die Retoure heute nicht mehr von allen Shops gezahlt werden muss, ist die Zahl der Rücksendungen aber zurückgegangen.
Und auch der stationäre Einzelhandel hat zuletzt nachgeholt, zeigt sich deutlich kundenfreundlicher und gewährt seinen Kunden großzügigere Rückgabe- und Umtauschrechte. Was am Ende zur Kundenzufriedenheit und zur emotionalen Bindung des Kunden beiträgt. Der Handel im Wandel mit positiven Folgen für den Endverbraucher also.
Die Emotionalität ist der Hauptgrund, dass selbst die sogenannten „Digital Natives“, also die, die mit Smartphone und Tablet in der Hand aufgewachsen sind, immer noch lieber im stationären Laden kaufen als im Internet.
Handel im Wandel: Aussichten für die Zukunft
Der stationäre Einzelhandel wird weiterhin wichtig bleiben, auch wenn das Internet in einigen Bereichen noch weiter aufholen und Marktanteile für sich beanspruchen wird.
Prognosen des Marktforschungsunternehmens GfK zufolge, ist im E-Commerce ab 2021 nur noch mit Wachstumsraten von etwa 3,5 Prozent pro Jahr zu rechnen. Dem einzigen Bereich, dem noch große Zuwächse im Online-Geschäft prognostiziert werden, ist der Lebensmittelbereich. Die letzte große Bastion des stationären Einzelhandels wird aber auch in zehn Jahren noch Anlaufstelle für einen Großteil der Einkäufer sein. Eine deutliche Steigerung ist aber naheliegend, auch wenn Angebote wie Amazon Fresh oder der Rewe Lieferservice bisher nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung genutzt wird und nicht so recht in die Gänge zu kommen scheinen.
Chancen für den Handel
Auf die technik-affinere Kundschaft, aber auch die sich, wenn auch nur leicht, verschiebenden Gegebenheiten muss der Handel nicht nur vorbereitet sein, sondern er muss sich ständig an diese Entwicklung anpassen. Voraussetzung dafür ist, dass Kunden weiterhin ein hervorragendes Einkaufserlebnis haben, sich vom Händler gewertschätzt fühlen und dass er die Vorteile, die er gegenüber dem Kauf im Internet hat, auch konsequent ausspielt.
So müssen stationäre Einzelhändler stets ihre Verkaufskonzepte überprüfen, neuen Trends nachspüren und ihre Verkaufsstrategien und -kanäle anpassen. Das kann ein Newsletter, aber auch eine Werbung in den sozialen Netzwerken sein. Gleichzeitig, und das kann ein schmaler Grat sein, gilt es Kunden, die wenig technik-affin sind, nicht zu vergraulen. Wird das Einkaufserlebnis verkompliziert, werden die sich abwenden und nach einfacheren Möglichkeiten Ausschau halten.
Handel im Wandel: Was bedeutet das für die Arbeitsplätze?
Für die Arbeitsplätze im stationären Einzelhandel bedeutet das, dass die Zahl der Angestellten in naher Zukunft wohl relativ konstant bleiben wird. Und doch werden die Bedürfnisse spezieller werden, woran sich auch der Arbeitsmarkt anpassen muss.
So wird der klassische Kassierer in den kommenden Jahren wohl immer unwichtiger werden. Schon heute gibt es in einigen Filialen der Supermarktkette Edeka automatisierte Kassensysteme, wo die Kunden ihre Einkäufe selber einscannen, verpacken und den Bezahlvorgang abwickeln. Zwar gibt es immer noch einen Mitarbeiter, der überwachend dabei steht, bei Problemen sofort zur Stelle ist und Freigaben erteilt, wenn beispielsweise Alkohol gekauft wird. Aber auch hierfür sind technische Lösungen naheliegend und zukunftsreif.
Schon heute wird das automatisierte und kontaktlose Bezahlen mit Smartphones und Kreditkarte immer verbreiteter. Es ist eine Frage der Zeit, dass Angebote wie Apple Pay oder Android Pay auch vom deutschen Markt angenommen werden und den klassischen Kassierer mehr und mehr verdrängen.
Für andere Arbeitsplätze gilt das Gesagte aber eben nicht. So wird die Wichtigkeit von Logistikern zunehmen und auch Facility Manager werden mehr und mehr gefragt sein. Auf der Spezialistenebene wird vor allem die Bedeutung von Vertrieblern und Fachkräften im Rechnungswesen stetig zunehmen.
Davon, dass die fortschreitende Digitalisierung Arbeitsplätze vernichtet, kann also keine Rede sein. Vielmehr verschieben sie sich weg von konventionellen zu spezielleren Anforderungsbereichen. Begreift der Handel das als Chance, so bleibt er mit regelmäßigen Weiterbildungen für seine Mitarbeiter, die sich am Fortschritt in der Digitalisierung orientieren, für die Zukunft gut aufgestellt. Gleiches gilt für die Arbeitnehmer. Mit Lehrgängen abseits der klassischen Ausbildung macht man sich für den Arbeitsmarkt interessanter und hat gute Möglichkeiten auch auf lange Sicht perspektivisch im Einzelhandel gut aufgehoben zu sein.
Fazit
Der stationäre Einzelhandel musste in den letzten Jahren zwar Verschiebungen hin zum Internethandel in Kauf nehmen, doch die Beschäftigungsquote zeigt sich davon unbeeindruckt und auch die Chancen, zukünftig eine wichtige Rolle zu spielen, sehen alles andere als düster aus. Denn ein Großteil der Kunden kauft immer noch lieber im Ladengeschäft ein und ist emotional gebunden. Allerdings darf der Einzelhandel nicht die fortschreitende Technisierung verschlafen und muss mit ihr mitgehen. So ist zwar der Handel im Wandel, aber war er das nicht schon immer?
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