Beim Thema Fachgeschäft vs. Onlinehandel läuft es immer öfter auf eine Grundsatzfrage hinaus, wobei die Einzelhändler die Guten und die Online-Konkurrenz die Bösen sind. Aber ist es wirklich so einfach? Oder lassen sich die Gegensätze zum beiderseitigen Vorteil überwinden?
Der Onlinehandel wächst nicht mehr so schnell
Bislang galt das Wachstum im Onlinehandel als ungebremste Lokomotive, die immer mehr an Fahrt aufnimmt. Doch durch die insgesamt etwas abgeschwächte Konjunktur ist im Jahr 2018 der Zuwachs erstmals etwas schwächer ausgefallen als zuvor erwartet. Allerdings bedeutet das noch immer ein Wachstum von 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – eine Rate, von der andere Branchen nur träumen können. In absoluten Zahlen gesprochen, können die Onlinehändler weiterhin jährlich von Umsatzzuwächsen von vier bis fünf Milliarden Euro ausgehen.
Während Produkte aus den Kategorien FMCG (Fast Moving Consumer Goods), Heimwerken und Garten sowie Wohnen und Einrichtung weiterhin zu den treibenden Faktoren beim Wachstum der Onlineverkäufe zählen, gehen die Zahlen bei Fashion (Mode, Schuhe etc.) und den Consumer Electronics weiter zurück. Dieser Rückgang der Umsätze ist auch im Offline-Handel zu verzeichnen, also eher eine branchenspezifische Schwäche, die weniger mit dem jeweiligen Vertriebskanal zu tun hat. Insgesamt ist eine Verschiebung der Anteile der ehemaligen Hauptgruppen Fashion und Elektronik hin zu kleineren Branchen zu verzeichnen. Dies mag auch daran liegen, dass insbesondere viele kleinere, stationäre Händler die Möglichkeiten des Onlinehandels entdecken und damit beweisen, dass Fachgeschäft vs. Online-Konkurrenz nicht immer ein Gegensatz sein muss.
Tatsächlich ist das Wachstum bei den Onlinehändlern mit einer stationären DNA am stärksten ausgeprägt. Dabei muss es nicht immer der eigene Onlineauftritt sein, über den die Waren vertrieben werden. Marktplätze bei Amazon oder ebay bilden ideale Plattformen, über die das Online-Standbein auch für stationäre Händler schnell und einfach ausgebaut werden kann. Bemerkenswert ist dabei, dass der Branchenprimus Amazon sein Wachstum in letzter Zeit nur noch über die Zuwächse im Marketplace steigern konnte und das eigene Online-Handelsvolumen eher stagniert. Zu diesen Schlüssen kommt der Handelsverband Deutschland in seinem aktuellen Online-Monitor 2019, der viele weitere interessante Zahlen und Fakten zu dieser Thematik enthält.
Beratungsdiebstahl im Fachgeschäft verärgert viele Einzelhändler
Der sogenannte Beratungsdiebstahl ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt auftritt. Dabei lassen sich Verbraucher im Einzelhandel ausgiebig zu einem bestimmten Produkt beraten, kaufen dann aber letztlich zu einem günstigeren Preis im Internet. Für den betroffenen Einzelhändler ist das natürlich ein Ärgernis, denn er investiert Zeit und Personal in eine gute Beratung, kann dann aber keinen Abschluss erzielen. Manche Unternehmen verlangen daher mittlerweile eine Gebühr für die Beratungsleistung, die bei Abschluss eines Verkaufs dann auf den Verkaufspreis angerechnet wird. Bei den Kunden kommt das nicht immer gut an, denn selbst wenn man nicht beim Onlinehändler kauft, möchte man sich als Interessent nicht unbedingt auf den erstbesten stationären Händler einlassen und die Preise bei anderen Geschäften vergleichen, bevor man kauft.
Dass dabei immer eine gewisses Risiko beim Händler bezüglich der Beratungsleistung liegt, ist also nicht unbedingt neu oder ein Phänomen des Online-Zeitalters, wenngleich es inzwischen sicherlich stärker ausgeprägt ist. Im Hinblick auf einen guten Service raten auch immer mehr Experten von einer kostenpflichtigen Beratung ab und empfehlen, den Begriff Beratungsdiebstahl nicht zu nutzen, sondern die Verbraucher mit einer guten Beratungsleistung und fairen Preisen zu überzeugen. Nicht zuletzt verweist die Online-Konkurrenz nicht ganz zu unrecht darauf, dass viele Beratungen in Fachgeschäften längst nicht immer fachgerecht ablaufen und viele Fehler passieren. Eine solche Kundenberatung auch noch kostenpflichtig zu gestalten, ist sicherlich grenzwertig.
Die Bedeutung des sogenannten Beratungsdiebstahls wird zudem von vielen Händlern stark übertrieben. Schätzungen zufolge lassen sich nur etwa zehn Prozent der Kunden offline im Fachgeschäft beraten, um dann online einzukaufen. Tatsächlich gibt es auch das umgekehrte Phänomen, dass sich Kunden ausgiebig im Internet über die Produkte informieren, aber dann lieber im Fachgeschäft kaufen.
Im Fachgeschäft ist sich jeder selbst der Nächste
Mit Kampagnen wie „Shop local“ versucht so manches Fachgeschäft, die potenziellen Kunden aus der Nachbarschaft solidarisch zu stimmen. Das hat durchaus seine Berechtigung, wenn man sich ansieht, das insbesondere in der Innenstadt und auf dem Land die Verdrängung durch den Online-Handel und große Einkaufsmärkte auf der grünen Wiese gleichermaßen zu Problemen für das alteingesessene Fachgeschäft führen. Neben laufenden Kosten für die Immobilien (Miete, Eigentum, Strom, Wasser etc.) sind dies insbesondere die Personalkosten sowie die Lagerhaltungskosten, weil die Waren natürlich stets sofort verfügbar sein müssen. Muss der Händler etwas erst bestellen, kann der Kunde sich den Weg in die Stadt bzw. zum Laden um die Ecke sparen und gleich selbst bei der Online-Konkurrenz bestellen (zumal das in der Regel schneller geht und billiger ist).
Auf der anderen Seite scheinen viele Fachhändler aber kein Problem damit zu haben, selbst zum Onlinehändler zu werden, wenn sie entdecken, dass sie die Kundschaft überregional erweitern und ihre Produkte unkompliziert und erfolgreich vermarkten können. Auch wenn es sich dabei oft nur um ein zweites Standbein handelt, werden sie somit für irgendeinen anderen Einzelhändler zur Online-Konkurrenz. Diese Doppelmoral lässt sich bei den Kunden nur schwer vermitteln.
Besonders ausgeprägt ist dies im Buchhandel: Hier wird insbesondere Amazon als böser Branchenriese verteufelt und mit der besseren Beratung im örtlichen Buchladen geworben. Geht es aber darum, beispielsweise einen lokalen Buchautor zu unterstützen, der im Selbstverlag seine Bücher anbietet, lehnen dies viele Buchhandlungen ab. Allenfalls, wenn der Autor bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, wird er gerne zu Lesungen im Buchladen eingeladen.
Besonders unschön ist diese Praxis auch deswegen, weil der Buchhandel im Gegensatz zu jeder anderen Branche aufgrund der Buchpreisbindung nicht einmal mit dem Preisdruck zu kämpfen hat, dem etwa ein Elektrohändler im Vergleich zu den Online-Händlern und den großen Elektronikmärkten unterworfen ist. Es zeigt sich also, dass die Solidarität oft an der eigenen Ladentür endet.
Gegensätze zwischen Fachgeschäft und Onlinehandel überwinden
Da insbesondere der Fachhandel vom zusätzlichen Onlinegeschäft profitiert, sollten die Gegensätze zwischen den beiden Formen nicht als Konfliktpotenzial, sondern als Chance gesehen werden. Synergien lassen sich häufig durch überregionale Kooperationen mit anderen Händlern im Verbund realisieren. Diese Idee ist nicht neu. Schon in den 70ern gingen beispielsweise Spielwarenläden dazu über, sich in Verbänden zu organisieren, die durch gebündelte Einkaufsstrukturen günstigere Preise aushandeln konnten, von denen alle angeschlossenen Händler profitierten, um der Konkurrenz der großen Kaufhäuser zu begegnen. Solche Konzepte lassen sich auch online ausbauen.
Wichtig ist zudem, den Einkauf im Fachgeschäft zum Erlebnis für den Kunden zu machen. So manches Fachgeschäft, das den Onlinehandel noch vor wenigen Jahren verteufelt und für sich selbst ausgeschlossen hat, entdeckt die Chancen inzwischen für sich. Die Kosten für Onlinehandel sind im Vergleich zu physischen Läden selbstverständlich immer geringer, weil keine Ladenflächen und Lager angemietet werden müssen (zumindest nicht dann, wenn man nicht selbst Hersteller einer Ware ist). Das Fachgeschäft kann seine Expertise bei der Beratung und Kundenbindung in der Regel auch online geltend machen und im Vergleich zu anonymen Discountern im Internet durch guten Service, Kulanz und Vertrauen bei den Kunden punkten.
Vor allem kann man so den Kundenkreis erweitern, da es keine geografische Begrenzung mehr gibt. Ein Weinhändler kann so zum Beispiel Kunden in ganz Europa unkompliziert mit den lokalen Spezialitäten versorgen. Zudem sind weder Kunden noch Händler online an Öffnungszeiten gebunden. Was ein virtueller Laden nicht bieten kann, ist die persönliche Beratung vor Ort und das „Anfassen“ der Ware.
Fazit: Das Fachgeschäft kann überleben, wenn es die Chancen des Onlinehandels nutzt
Den Kleinkrieg zwischen Onlinehandel und Fachgeschäft kann man vielerorts beobachten. Letztlich kostet es alle Seiten nur Energie und Nerven, denn es dürfte klar sein, dass der Onlinehandel auch in Zukunft nicht mehr wegzudenken ist und an Bedeutung zunehmen wird. Deswegen sollten sich Einzelhändler auf die neue Situation einstellen, statt nur die Gegensätze zu betonen. Gute Beratung kann man auch im Internet realisieren.
Die Chancen der Erweiterung des Kundenkreises durch den Onlinehandel hilft kleinen Shops in der Innenstadt und auf dem Land sogar dabei, ihre Lagengeschäfte für ihre Stammkunden zu erhalten. Komplexe Waren und Produkte wie Autos oder Immobilien werden auch in Zukunft eher offline gekauft werden, da bei besonders hochpreisigen Investitionen die Kunden nach wie vor auf das haptische Erlebnis setzen, bevor sie sich entscheiden. Für manche Branche ist das Fachgeschäft vor Ort aber inzwischen verzichtbar – weswegen der Kampf gegen Windmühlen keinen Sinn macht. Wer sich nicht anpasst, wird letztlich vom Trend überrollt werden.
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